Ich hatte mir den Ostermontag extra wegen des Wetters ausgesucht. Denn laut Wetterbericht hätte es am Vormittag noch windstill sein sollen. Doch als ich in Starnberg aus dem Auto stieg, blies mir sofort der starke Wind ins Gesicht. Aber es gab kein Zurück mehr. Ich hatte in den vergangenen Tagen das Training reduziert, die Getränkeflaschen waren auf der Strecke deponiert.
Um 9:25 Uhr startete ich. Trotz des heftigen Gegenwindes startete ich mit 3:36 Minuten für den ersten Kilometer. Nun folgten die beiden Brücken im Starnberger Hafen mit ihren vielen Treppenstufen. Nach den Stufen fand ich am Ostufer in meinen Rhythmus und war deutlich schneller als geplant unterwegs. Für die ersten 10 Kilometer benötigte ich 37:20 Minuten. Doch dann wurde ich langsamer, da ich immer verkrampfter lief. Ich musste auf die Toilette. Allerdings waren links und rechts nur Zäune der vielen Villen in Ammerland. Ich war kurz davor stehen zu bleiben. Doch dann tauchten zwei Läufer vor mir auf. Ich kam ihnen immer näher. Das typische Wettkampf-Gefühl stieg in mir hoch und ich sagte zu mir selbst: „Du kannst jetzt nicht stehenbleiben, das würde zu viel Zeit kosten.“ Urplötzlich war das belastende Gefühl verschwunden und ich konnte unverkrampft weiterlaufen.
Der Wind wurde immer stärker. Sogar Surfer waren auf dem Starnberger See unterwegs. Teilweise wurde ich richtig aus der Bahn geschleudert und musste selbst auf der schnurgeraden Strecke Kurven laufen. Ich musste ständig Druck machen, um wegen des Gegenwindes nicht langsamer zu werden. Nach 19 Kilometern konnte ich meine Trinkflasche wechseln, die ich vorher im Ambacher Erholungsgebiet direkt neben dem Weg deponiert hatte. Hier war auch meine Frau, die mich anfeuerte und fotografierte. Nun galt es weitere 90 g Kohlenhydrate zu mir zu nehmen, die ich alle in meinem Laufgürtel dabei hatte. Dabei verschluckte ich mich und musste kurzzeitig stehenbleiben. Doch gleich danach ging es mir wieder gut. Bei Kilometer 20 zeigt die Uhr 1:14:40 Stunden.
Nun ging es bergauf in Richtung Seeshaupt, das Ostufer war geschafft. Langsam entfaltete die Sonne ihre volle Kraft, sodass ich mich meines Laufpullovers entledigte. Die Hälfte war geschafft. Durch Seeshaupt hindurch spürte ich zum ersten Mal, dass meine Beine etwas müde wurden. Zwar hatte ich bereits 4 Minuten auf die FKT von Florian Neuschwander herausgelaufen, aber leichte Zweifel stellten sich ein. Am Schloss Seeseiten nach 27 Kilometer holte ich mir meine nächste Flasche. Aber ich merkte, dass ich eigentlich nichts weiter trinken wollte, zumindest nicht in diesem Moment. In meinem Magen hatte sich ein leichtes Völlegefühl breit gemacht. Deshalb trank ich aus der Flasche nur in ganz kleinen Schlucken.
Nun ging es durch den Bernrieder Park, vorbei am Teehaus. Die Beine wurden zusehends müder und ich fürchtete mich schon ein wenig vor dem längsten Anstieg der Strecke am Buchheim Museum. 30 Höhenmeter, im Normalfall also ein lächerlich kurzer Anstieg. Doch nach 32 Kilometern war ein gewisser Respekt vorhanden. Ich quälte mich im gefühlten 5er-Schnitt nach oben, als ich 50 Meter vor mir Klatschen und lautes Rufen hörte. Martin, Sascha und Sabrina standen neben dem Fußweg und feuerten mich lautstark an. Ich hatte gewusst, dass sie irgendwo an der Strecke stehen würden, trotzdem war ich überrascht. Eigentlich wollte Sascha mich mit dem Rad begleiten. Doch wegen starker Rückenschmerzen hatte er leider absagen müssen. Beflügelt davon erklomm ich noch die letzten Höhenmeter, den längsten Downhill der Strecke hinunter nach Tutzing vor mir.
Der Wind ließ langsam etwas nach, als ich in Tutzing ankam. An der Eisdiele stand wieder meine Frau, schoss Fotos und feuerte mich an. 500 Meter waren dann wieder die drei anderen an der Straße. Diese Unterstützung war auch bitter notwendig, denn leichtes Seitenstechen machte sich breit. Ich reduzierte das Tempo ein wenig, achtete auf meine Atmung und drückte mit der linken Hand auf die schmerzende Stelle unterhalb des Zwerchfells. Mein Lauftempo sank unter 15 km/h. Im Kopf rechnete ich mir aus, dass ich für die letzten 10 Kilometer 45 Minuten brauchen durfte, um den Rekord von Florian Neuschwander zu unterbieten. „Das ist überhaupt kein Problem, auch nicht mit Seitenstechen und müden Beinen“, dachte ich mir. Mit der fast sicheren Gewissheit, dass eigentlich nichts mehr passieren würde, pendelte ich mich bei einem Kilometerschnitt von 3:55 Minuten ein und die Seitenstechen verschwanden. Dieses relativ lockere Tempo behielt ich bei, passierte Schloss Garatshausen, die Roseninsel und Possenhofen. Dort nach ungefähr 45 Kilometern wechselte ich auf die Straße, wo Martin, Sascha und Sabrina mich erneut anfeuerten. Der Kilometerschnitt sank nun wieder deutlich unter 3:50 Minuten und Euphorie machte sich breit. Auf der Seepromenade beschleunigte ich noch einmal und sah meine Frau, die mich im Ziel am Starnberger Bahnhof in Empfang nahm.